Wissen trennt – Praxis (Erfahrung) vereint, Teil 2

Ich habe eine Tendenz auf Facebook erkannt, die sich in den letzten Tagen verschärft hat. Es ist die harsche Art und Weise des Umgangs miteinander, wenn jemand eine andere Meinung äussert, die nicht im Fahrwasser der gängigen Meinung daherkommt. Viele sind scheinbar so getriggert in ihrem Sicherheitsbedürfnis und in ihrer Existenzangst, dass es unerträglich, ja sogar bedrohlich ist, wenn jemand eine andere Sicht hat oder einlädt, etwas anderes auch in Betracht zu ziehen. Er wird dann zum Feind, oder sie wird zur Feindin.

Ich bin erstaunt, wie man jemanden heutzutage mutig nennt, der/die einfach seine/ihre Meinung sagt und darum bittet, wach zu bleiben in diesen Zeiten. Wir leben in einem Land, wo uns Meinungsfreiheit zugestanden wird. Doch weicht jemand ab von der Meinung des Mainstreams, lädt zu einem anderen Blick ein, wird er/sie gleich als verantwortungslos, als keine „guter Yogi / richtige Yogini“ oder gar als Verschwörungstheoretiker/in abgestempelt. Jemanden als „Verschwöhrungstheoretiker/in“ zu bezeichnen ist der K.O. Faktor für jegliche konstruktive Diskussion.
Das fühlt sich bedenklich an für mich… Der Schritt in eine totalitäre, faschistoide Gesellschaft ist dann gar nicht mehr so weit, wo anders Denkende ausgegrenzt werden (oder mehr).

Mir ist klar – das triggert etwas in mir. Und das ist meine ganz eigene Geschichte. So wie jede und jeder von uns in seiner / ihrer Geschichte getriggert wird. Mit dem war ich die vergangenen Tage ganz intensiv unterwegs und habe damit praktiziert.

Es macht mir Angst, wenn freie Meinungsäusserung geahndet wird. Es erinnert mich an eine Zeit, in der mein Ur-Grossvater und mein Grossvater, die beide Priester waren, nachts von der Gestapo aus ihren Betten gezerrt und tagelang verhört wurden, ohne dass die Familie wusste, wo sie waren, was passiert war, ob sie jemals zurück kommen würden oder ob sie gar schon tot waren. Um sie dann irgendwann unter Verboten und Androhungen nach Hause zu schicken bzw. vorher noch zu enteignen und die ganze Familie dann aus dem Dorf zu vertreiben. Sie hatten Glück. Viele Menschen sind in dieser Zeit von der Gestapo nachts aus ihren Häusern gebracht worden und sind nie wieder aufgetaucht….

Wir kennen das aber auch aus unserer aller Geschichte. Beispielsweise aus der Zeit, in der die Mainstream-Meinung war, dass die Erde eine Scheibe sei. Alle, die etwas anderes gesagt haben, wurden öffentlich hingerichtet. Es erinnert mich an eine Zeit, in der Männer und Frauen, die verbunden waren mit einem tiefen Wissen über Pflanzen und Heilkräuter, als Ketzer und Hexen umgebracht wurden. Oder an Geschichten von Menschen, die wegen einer anderen Meinung hingerichtet wurden, um sie dann später heilig zu sprechen. Es gibt vieler solcher Fälle in unserer Geschichte.

Ich meine: wir sollten doch Thesen und Antithesen formulieren dürfen, um daraus eine Synthese für uns zu ziehen. Es sollte uns doch erlaubt sein, hinterfragend unterwegs zu sein und all die (angeblichen) Fakten zu diskutieren, uns auszutauschen, wieder zu revidieren, neu zu evaluieren.

Ich erachte es als wichtig und richtig sich solidarisch und gemeinschaftlich zu verhalten. Natürlich. Gleichzeitig können wir jedoch auch beobachten, wie schnell Gesetze ausser Kraft gesetzt und uns unsere grundlegenden Rechte und Freiheiten entzogen werden können.
Das hätte ich mir noch bis vor kurzem nicht vorstellen können! Damit kritisiere ich die #stayhome Massnahmen nicht. Ich sage nur: bleibt wach! Informiert euch vielfältig. Diskutiert auch mit Menschen, die es anders sehen (siehe dazu bitte den 1. Teil dieses Artikels). Fragt nach. In einem freundlichen, respektvollen „Ton“.

Was mich zudem äusserst irritiert und befremdet, ist – und das habe ich bei Kolleginnen und Kollegen bei ihren Posts gesehen – dass sie ihre Bedenken und ihre ganz tiefen Ängste gar nicht mehr formulieren können, ohne dafür angefeindet zu werden. Wo sind wir da hingekommen, frage ich mich!?!

Und noch was: Natürlich haben wir eine Verantwortung für die ältere Generation. Doch wie schaut es aus mit der jungen Generation? Haben wir da nicht auch eine Verantwortung? Für all die Menschen, die das Erbe dieser Krise antreten werden?

So. Jetzt habe ich gleich noch eine Übung, die du immer wieder machen kannst, wenn du etwas liest, siehst, hörst, das dich durcheinander wirbelt, dich erschreckt oder einfach ärgert. Und vor allem kannst du diese Übung auch machen, BEVOR du einen Kommentar bei jemandem hinterlässt. Die derzeitige Lage mit den vielen Posts schenkt uns ja ein grosses Übungsfeld!

Übung 2:
Wenn du etwas liest, was dich triggert, dich wütend macht oder verängstigt und du aus dem Affekt am liebsten etwas schreiben würdest, wie: „Du Ignorant! Wie kannst du Dinge so verharmlosen. So abdriften und Verschwöhrungstheorien verbreiten. Das schürt Angst und ist verantwortungslos.“

Statt dessen kannst du erstmal tief durchatmen. Und dich fragen: „Kann ich mit Sicherheit sagen, dass meine Information richtig ist? Kann ich wirklich mit 100%-iger Sicherheit sagen, dass meine Quellen verlässlich sind? Kann ich mit 100% Sicherheit sagen, dass der Post von XY falsch ist? Kann ich wirklich mit 100% Sicherheit sagen, dass er bei ALLEN Menschen Angst (Wut u.ä.) auslöst?“

Und wieder tief durchatmen. Wenn dann kein „nein“ kommt auf diese Fragen, sondern immer noch ein „ja, aber“, dann stell dir die Fragen: „Was bringt es mir, wenn ich XY als Ignoranten/in, als Verschwöhrungstheoretiker/in halte?“ Wie fühle ich mich, wenn ich das glaube? Was macht es mit mir, wenn ich an diesem Glauben festhalte?“

Und wieder tief durchatmen. Vielleicht fällt dein Kommentar dann anders aus. Vielleicht so oder ähnlich: „Dein Post irritiert mich. Er triggert in mir eine grosse Angst. Wenn das stimmen sollte…?! Puh… Ich fühle mich gerade total verzweifelt. Ich habe andere Quellen. “ Das ist ein Kommentar, bei welchem Dialog entstehen kann. Vielleicht sogar einer über private Kanäle. Daraus kann Nähe entstehen. Wir können zusammen wachsen. Und voneinander lernen.

Das ist Teil 2 von 4 Teilen.