Leidenschaft

Das Wort „Leidenschaft“ ist eine ziemlich eigenartige Konstruktion: schaut man sich die Zusammensetzung des Wortes an „Leiden“ und „schaft“, dann wirkt es eher negativ. „Leidenschaft“ hat aber bei vielen eine positive Konnotation. Was steckt dahinter?

Das Wort „Leidenschaft“ hat eine interessante etymologische Herkunft und erfuhr etwa im 16./17. Jahrhundert eine Bedeutungsverschiebung. 

“Leid“: geht auf das altgermanische Wort „līdan“ zurück, was so viel bedeutet wie „ertragen“ oder „aushalten“. Also Schmerz, Kummer oder Unglück, das ertragen werden musste.

„schaft“: ist ein altes deutsches Suffix, das eine Art von Zugehörigkeit, Zustand oder Eigenschaft ausdrückt. Zusammengesetzt bedeutet „Leidenschaft“ also wörtlich „der Zustand des Ertragens, des Leidens“. 

Es gibt noch andere Sätze, in denen der Wortstamm als Verb, Adverb oder Adjektiv vorkommt: „Das ist ein leidiges Thema.“ „Damit hast du sie beleidigt.“„Leider ist mir die Hose zu klein.“ „Ich bin es leid, dir jeden Tag die Wäsche zu waschen.“ 

Wenn wir heute von einer leidenschaftlichen Tänzerin sprechen, dann gehen wir nicht davon aus, dass sie sich zum trainieren zwingen muss oder darunter leidet. Wir verstehen, dass das Tanzen ihr Freude bereitet und sie daraus Positives schöpft. Menschen, die mit Leidenschaft einem Hobby oder Beruf nachgehen, fühlen sich in der Regel erfüllter und glücklicher als Menschen, die keine Freude an ihrem Beruf haben.

Wie kam es zu dieser Bedeutungsveränderung?

Bei “Anna kann Stefan gut leiden“ ist die Bedeutungsverschiebung schon erkennbar:. Aus dieser positiven Bedeutung von „leiden“ wurde später das Wort Leidenschaft gebildet. Davor gab es Leidenschaft als Wort nicht! Die etymologische Entwicklung von „Leidenschaft“ ist also nicht direkt mit der Wurzel „leid“ verbunden, sondern eine separate Entstehungsgeschichte, die auf die Bedeutung von „Hingabe“ oder „emotionalem Feuer“ hinweist, das oft mit einem gewissen Leiden oder intensiven Gefühlen verbunden ist.

„Leidenschaft“ wurde im 17. / 18. Jahrhundert in Anlehnung an das französische Wort „passion“ geprägt, das ebenfalls eine Wurzel mit der Bedeutung von Leiden hat (lat. patior und griech. pathos), vergleichbar mit der Passion Jesu in der christlichen Religion. Sowohl das deutsche „Leiden“ als auch das englische „passion“ wurden ursprünglich im Zusammenhang mit den physischen Leiden Jesu am Kreuz verwendet. Erst später wurden die Konnotationen von starken Emotionen oder Begehren hinzugefügt, sowohl im Englischen als auch im Französischen. Dies spiegelte sich im Deutschen erst im späten 17. Jahrhundert wider, als das französische „passion“ mit „Leidenschaft“ übersetzt wurde, einer damals neu gebildeten Zusammensetzung.

Im 16. Jahrhundert blühten die Literatur und Volkspoesie auf und der englische Wortschatz explodierte. Viele neue Wörter entstanden bzw. erhielten in dieser Zeit neue Bedeutungen. Auch ein erneutes Interesse an klassischer Bildung könnte Latein einen direkteren Einfluss auf die Sprache gegeben haben. „Passion“ als „starke Emotion“ könnte beispielsweise auf eine Übersetzung des lateinischen „passio“ als „Affekt des Geistes“ oder „Emotion“ zurück gehen. 

Die erste sexuelle Verwendung wird William Shakespeare zugeschrieben, der in „Titus Andronicus“ schrieb: „Mein Schwert … wird … meine Leidenschaften für Lavinias Liebe verteidigen.“ Es war kein großer Schritt von Shakespeare zu den völlig modernen Bedeutungen von „Passion“, die sich mit seiner Hilfe und der anderer in den nächsten Jahrzehnten entwickelten.

Mit dieser Bedeutungsveränderung beschreibt „Leidenschaft“ einen Zustand extremer und stark ausgeprägter Zuneigung gegenüber einer enorm inspirierender Sache oder eines Menschen. Es schwingen starke Gefühle, Begeisterung, Extase, Rausch, Enthusiasmus und Lust mit. Es drückt eine intensive Emotion oder ein tiefes Verlangen aus, das oft mit einem starken Engagement und einer positiven Energie einhergeht, im Gegensatz zur ursprünglichen Bedeutung des „Leidens“.

Doch wann wird aus einer Leidenschaft eine Besessenheit? Wenn etwas, das einem grosse Freude bereitet zwanghaft wird, dann wirkt sich das negativ auf das Wohlbefinden des jeweiligen Menschen aus. Wird eine sogenannt harmonische Leidenschaft zu einer fixen Idee, dann schränkt es die Wahrnehmung ein, ggf. macht man den Selbstwert davon abhängig und nichts anderes mehr macht Freude.

Ich definiere Leidenschaft für mich so: Eine Leidenschaft ist etwas, das dich leiden lässt, wenn du dem starken inneren Impuls nicht folgst. Wenn du eine Leidenschaft fürs Tanzen hast, wirst du unglücklich sein, wenn du länger nicht tanzen kannst. Eine Leidenschaft ist etwas, dem du dauerhaft nachgeben musst, um erträglich zu sein.