Wie wärt ihr im Krieg…?

Hey Nachbarn, Freunde und Kollegen, Bekannte, Verwandte und Vereinsmitglieder – wir haben noch nicht über Corona gesprochen.

Ich dachte, ich könnte es vergessen, wie ihr wart. Doch nun legt sich in mir eine Spannung an, die auf die Zukunft verweist.

Merz gibt die Waffen frei, Russland nimmt Berlin ins Visier. Und während wir zusammen Alltag spielen, steht der Krieg schon vor der Tür.

Und da überfällt mich das Erinnern, an euer Ausschließen, Denunzieren und Hetzen, das Abstand erhöhen und Kontakt verringern, an das arrogante Mäulerzerfetzen.

Und ich frage mich: Wie wärt ihr im Krieg?

Wir sprachen noch nie über die Wunden, die Corona in unsere Beziehungen schlug, nur ein bisschen über eure Einsicht, die Maßnahmen waren wohl doch nicht so klug.

Doch man wusste es nicht besser, folgte erstmal, machte mit Tag für Tag..(…)

Ich will ja keine Reuegesten oder Asche auf Häuptern seh´n, aber ein Gespräch über die Art wie wir in der nächsten Krise miteinander umgeh´n.

Denn was geschah, das war gewaltvoll, wenn man es sehen will. Wir können das nicht einfach vergessen, und aus uns löschen, zurückhaltend und still. Wir müssen da mal drüber reden.

Und ich frage mich: Wie wärt ihr im Krieg?
Wie würdet ihr euch gegenüber mir verhalten, wenn ihr lest, dass ich gegen Waffen bin?
(…)

Was tut ihr, wenn ihr eure Kinder losschickt – weil´s eben sein muss – los an die Front und ich die meinen gut verstecke?

Klagt ihr mich an, ich sei unsolidarisch, weil ich sie nicht hergeben will, geht ihr sie suchen, liefert ihr sie aus, denn es ist nunmal Befehl?

Wie wärt ihr im Krieg, das frage ich mich nun schon seit einigen Tagen. Wärt ihr wieder dabei, ganz unkritisch, ohne nachzufragen?

(…) oder für Familie und Land diesmal sagen: „Ich mach da nicht mit?“

Ich frage mich, wie wärt ihr im Krieg und fürchte die Antwort doch sehr. Denn auch im Krieg ist jeder das, was er gerne wär.

Text gefunden auf LAUTERDENK, von Julia Uhl, 31.5.25