Unser Fühlen bewahren
Wer heute das Internet öffnet, begegnet auf Schritt und Tritt künstlicher Intelligenz. Algorithmen lenken, was wir sehen, welche Informationen uns präsentiert werden und welche Perspektiven im Vordergrund stehen. Und es ist spürbar. Es fühlt sich an, als würden wir in ein vorgezeichnetes Gedankenkorsett gedrängt, als gäbe es nur eine bestimmte Richtung, in die wir geführt werden sollen.
Doch genau hier liegt eine Chance: Die Möglichkeit, dieses Gefühl bewusst wahrzunehmen. Die Hoffnung liegt nicht darin, dass wir uns der KI völlig entziehen – das wäre illusorisch. Sondern darin, dass wir wieder lernen zu fühlen. Dass wir erkennen, dass Fühlen und Intuition keine nebensächlichen, irrationalen Prozesse sind, sondern die eigentlichen Treiber unseres Daseins.
Fühlen als ursprüngliche Entscheidungsinstanz
Neurowissenschaftliche Forschung zeigt längst, dass unser Denken weit weniger rational ist, als wir oft glauben. Wir treffen Entscheidungen zunächst emotional – mit dem Bauch, dem Herzen, einer inneren Wahrnehmung. Erst danach setzt der Verstand ein, um das Gefühlte zu überprüfen, zu begründen oder zu korrigieren.
Stellen wir uns vor, wir verlieben uns. Der Verstand mag eine Liste mit objektiven Vorteilen erstellen – sozialer Status, finanzielle Sicherheit, gemeinsame Werte. Doch wenn sich tief im Inneren ein Unbehagen regt, wenn das Bauchgefühl etwas anderes sagt, dann ist es genau diese innere Wahrnehmung, die meist den Ausschlag gibt.
Das Entscheidende ist: Es ist wichtig, dass wir uns diese Fähigkeit, intuitiv zu spüren, bewahren. Das menschliche Wesen ist nicht darauf ausgelegt, sich vollständig in eine algorithmisch gesteuerte Welt einzugliedern. Deshalb wird das KI-Projekt in dieser Hinsicht auch scheitern – denn es kann nicht ersetzen, was uns im Kern ausmacht.
Wenn Begegnungen flach werden
Wie sehr KI bereits unsere zwischenmenschliche Kommunikation beeinflusst, habe ich selbst erfahren. In einer scheinbar persönlichen Unterhaltung auf Tinder hatte ich den Eindruck, mit zwei „Männern“ zu schreiben, die – und da bin ich mir sicher – keine echten Menschen waren, sondern Chatbots. Die Antworten kamen mechanisch, vorhersehbar, ohne Tiefe. Es war, als würde ich in einen leeren Raum hineinsprechen, der nur programmierte Phrasen zurückwirft.
Ein anderer Mann schien eine KI zu nutzen, um auf meine Nachrichten zu antworten. Und obwohl da schöne Worte waren, konnte ich ihn nicht spüren. Es gab keinen wirklichen Kontakt, keine emotionale Resonanz, kein Gefühl eines echten Austauschs. Es war eine Begegnung ohne Präsenz – als würde ich versuchen, in ein Hologramm hineinzufassen.
Das mag im ersten Moment harmlos erscheinen, doch es wirft eine größere Frage auf: Was geschieht, wenn immer mehr Interaktionen auf dieser Ebene stattfinden? Wenn wir uns daran gewöhnen, dass Kommunikation glatt, perfekt und entseelt ist? Wenn das Unvorhersehbare, das Ungeplante, das Lebendige verschwindet?