Hänsel und Gretel 2.0 ?

Schon lange wollte ich zu Beltane und der Walpurgisnacht mal das Grimmsche Märchen von Hänsel und Gretel genauer unter die Lupe nehmen. Dabei bin ich vor etwa 5 Jahren auf ein Büchlein von Hans Traxler gestossen. Es soll eine „Wissenschaftssatire“ sein und nicht alles der Wahrheit entsprechen.

Wer weiss? Mein Gefühl sagt, dass es wohl viele Geschichten gab, die sich so oder ähnlich zugetragen haben…

Das Buch „Die Wahrheit über Hänsel und Gretel“ von Hans Traxler aus dem Jahre 1963 ist wieder neu aufgelegt worden. Es ist ein reichhaltig illustriertes, mit Fotos, Zeichnungen, Karten und vielen archäologischen Dokumenten ausgestatteter Klassiker. Einige Jahre nach Erscheinen des Buches gab Traxler ein Interview, in dem er zugab, sich das ausgedacht zu haben….

Traxler beschreibt in seinem Buch die Arbeit von einer fiktiven Person, Georg Osseg aus Aschaffenburg, der eine wissenschaftliche Disziplin, die man «Märchenarchäologie» nennen könnte, begründet haben soll. Er hat das Grimmsche Märchen „Hänsel und Gretel“ auf seinen Wahrheitsgehalt untersucht und hat mit Beharrlichkeit und Spürsinn tatsächlich das sogenannte Hexenhaus mit dem Ofen und auch dem Skelett der Frau, die als Hexe darin verbrannt worden war, gefunden. Das ist erst der Anfang seiner Geschichte.

Die Frau, um die es geht heisst Katharina Schraderin. Sie wurde 1618 in Wernigerode geboren und arbeitete in der Küche des Klosters Quedlinburg. 1638 wanderte sie nach Süddeutschland und bot auf Messen und Märkten ihren besonderen Lebkuchen an. Und dann geschah etwas, das vielen Frauen damals geschah.

In Nürnberg machte sie Bekanntschaft mit Hans Metzler, der seinerseits herzöglicher Hofbäcker war. Er war auf das Rezept ihres sagenumworbenen Lebkuchens aus und begann um sie zu werben. Katharina wies ihn zurück. Als Metzler nicht aufhörte, sie zu Bedrängen, floh sie 1647 samt ihrer Backgeräte in den Wald auf den Engelsberg bei Aschaffenburg (Spessart). Im Wald kaufte sie ein kleines Fachwerkhaus und liess vier Backöfen bauen. Auch hier hatte sie riesigen Erfolg mit ihren Backkünsten. Sie war kreativ und erfand immer wieder neue Lebkuchenrezepte. Es lief richtig gut.

Ihr Erfolg sowie ihre Ablehnung auf sein Umwerben schürten den Neid Hans Metzlers und er zeigte sie als Hexe an. In der Wernigeroder Handschrift ist dies aufgezeichnet worden. Sie hielt der Befragung und der Folterung mit Daumenschrauben stand und wurde freigesprochen. Als Metzler erkannte, dass auch die Inquisition ihm nicht zu seinem Ziel verhelfen konnte, nahm er, getrieben vor Neid, Eifersucht und verschmähtem Stolz, die Sache selbst in die Hand. Zusammen mit seiner Schwester Grete machte sich Hans von seinem Haus aus in einem Tagesmarsch auf durch den Wald zum Haus von Katharina Schraderin. Er nahm seine Schwester Grete wohl mit, damit sie später vor Gericht seine Aussage bezeugen könne. Beide waren zu dem Zeitpunkt 37 und 34 Jahre alt.
Auf dem Engelsberg angekommen, brachen sie die Tür auf (das ist archäologisch datiert, denn man fand die herausgebrochenen Türangeln) und erwürgten Katharina Schraderin. Danach schleiften sie sie vom Haus zu einem der Backöfen (man fand einen Schuh, den sie dabei verlor) und verbrannten sie darin. Die Rezepte fanden sie nicht.
Obwohl das Verbrechen entdeckt und die beiden vor Gericht gestellt wurden, kamen sie frei.

Die Gebrüder Grimm liessen sich von dieser wahren Begebenheit inspirieren und nahmen eine Umdichtung vor. Es besteht ein Brief, den Jacob Grimm an Wilhelm Grimm schrieb mit folgendem Wortlaut: «Diese Historia von den beiden Geschwistern ist mir denn doch zu gewaltthätig, um in unserer Sammlung Aufnahme zu finden. Dies bekümmert mich über alle Maßen; athmet doch gerade diese Begebnis so recht sehr den ungebrochnen Sinn unserer lieben Landsleute für guth und böse. Wie wäre dem wohl zu tun? Wenn das Hexlein nun ein altes Weib wäre, mit einem Buckel und gar noch einer Katze oder Raben drauf, könnte dem ganzen doch eine recht bedeuthende und belehrende Wirkung entsprießen.»